Dragosien - Land der Drachen - Forum

Und er bekam eine schöne Beerdigung. Beziehungsweise das, was unter diesen Umständen eben möglich war.
In der Stadt gab es keine nähere Verwandten mehr, sie waren alle bei besagtem Autounfall ums Leben gekommen. Die entfernteren Verwandten lebten hunderte Kilometer entfernt und sahen es nicht ein, so weit zu fahren. Sie verbrachten den Tag lieber damit, sich in einer Kneipe zu treffen und das spontane Ableben dieses eher unbeliebten Teils der Familie zu feiern, immerhin machte es sie um einige hunderttausend Euro reicher.
Am Tag der Beerdigung regnete es in Strömen, der Leichenwagen blieb in der schlammigen Friedhofseinfahrt stecken und die Totengräber mussten den Sarg, eine billige Holzkiste, bis zur Kapelle tragen. Es gab keine Musik, alle Mitglieder des Chors hatten sich erfolgreich gedrückt, keiner hatte Lust gehabt bei diesem Wetter das Haus zu verlassen. Nur ein Vertreter des Jugendamtes saß in der letzten Reihe und tippte auf seinem iPhone, ansonsten war das Gebäude leer.
Der Pfarrer erschien zwanzig Minuten zu spät in Jeans. In ausladenden Schlangenlinien torkelte er zur Empore und konnte sich gerade noch am Pult festhalten, um nicht umzufallen. Stattdessen fiel die mit dem Vaterunser bedruckte Kerze. Sie zerbrach auf dem schmutzigen Steinboden der Kapelle. Der Pfarrer begann, immer noch mit einer ziemlichen Menge Restalkohol von dem vorabendlichen Besäufnis, seine Predigt zu lallen. Zusammenhangloses Zeug, das niemand verstanden hätte, wenn jemand da gewesen wäre. In der letzten Reihe klingelte das iPhone des Vertreters vom Jugendamt. Dieser, der die letzten Minuten mit Surfen im Appshop verbracht hatte, sprach einige Worte in das Gerät, stand auf, nahm seinen Regenschirm und verließ die Kapelle.
Jetzt stand der Pfarrer ganz allein da. Er bemerkte es nicht und lallte weiter. Wenige Minuten später grunzte er ein Amen und torkelte aus dem Gebäude zum Stammtisch, wo er seine gelungene Grabrede feiern wollte.
Dann kamen die Totengräber. Schweigend nahmen sie den Sarg auf und trugen ihn langsam zur vorbereiteten Grabstätte. Es hatte aufgehört zu regnen und sogar die Sonne war erschienen. Langsam wurde der Sarg hinabgelassen. Die Totengräber schwiegen einen Moment, bevor sie begannen Erde in das Loch zu schaufeln.
In einem gewissen Sinne war es tatsächlich eine schöne Beerdigung. Ohne falsche Tränen oder falsche Freunde. Ganz allein und nur die Totengräber verrichteten schweigend, aber professionell ihre Arbeit.

Ich wünsche mir ein paar echte Freunde