Liebes Tagebuch,
heute war ein verrückter Tag bei uns in der Zwergenbinge: wir hatten grünen Besuch. Er hat nicht nur alles aufgegessen, was auch nur ein Krümelchen Zucker enthielt, sondern uns auch eine ziemlich verrückte Geschichte erzählt. Aber ich fange besser am Anfang an...
Es wird Abend in der Binge. Die Blüten über der Erde schließen sich; die Zapfhähne tief darunter werden geöffnet. Und während an der Oberfläche der Regen vom Himmel prasselt und das Wasser die steilen Hänge des Berges hinabfließt, so fließt in der Zwergenbinge der schaumige Gerstensaft.
An diesem Abend ist das Treiben noch etwas fröhlicher als sonst, denn ein ungewöhnlicher Besucher beehrt heute die versammelten Angroschim. Wie soll man ihm am besten beschreiben? Nun, für gewöhnlich beginnt man mit dem auffälligsten Merkmal. Doch bei diesem Besucher stellt sich das als recht schwierig heraus. Beginnt man mit seinen langen, spitzen Ohren? Mit seiner geringen Körpergröße, die selbst die eines Zwerges deutlich unterschreitet? Mit seiner grünen Hautfarbe? Dem bunten Hut, der von sage und schreibe 34 Federn geschmückt wird? Oder mit der dicken lila Warze, die seine lange, krumme Nase ziert?
Nun, ein mancher wird es schon erraten haben: vor euch sitzt ein Kobold, der die versammelten mit seinen Geschichten und Späßen unterhält. Treten wir also einen Schritt näher und lauschen seinen Geschichten...
"WAS?" die Stimme des Kobolds überschlägt sich beinahe vor Empörung, während er seine dürren Ärmchen erbost an die Hüften stemmt. "Wir Kobolde sollen Tunichtgute sein? Wir sind ein Volk voller Mut! Ehre! Kuchen! Und Tapferkeit!"
Leicht schmunzelnd entgegne ich: "Kuchen? Vielleicht... Aber Ehre? Bei welcher Gelegenheit hat ein Kobold denn Ehre errungen? Bei der Trollpforte wenigstens war keiner dabei. Oder in der Khom, als wir gegen die Pest des Südens in den Krieg zogen. Ich bin sicher, du kannst mir nicht einmal eine Schlacht nennen, bei der ein Kobold beteiligt war!"
"Ha, nichts leichter als das, mein monochromer Freund! Ich werde dir von einer herausragenden Schlacht berichten... Der Schlacht bei den Thermos-Spülen! Damals, das war noch lange, bevor dein Urururgroßvater gelernt hatte, herzhaft in der Nase zu popeln, zogen 300 Krieger einer heute vergessenen Stadt mit Namen Spanna in den Krieg. Tapfere Kriegern waren das, die Spanniaten! Leider jedoch waren sie auch ziemlich dumm! Sie trugen riesige Bronzeschilde, lange Speere, einen starken Helm, langte, rote Umhänge... Kurz: alle Dinge, die man von einem Krieger erwartet. Mit einer Außnahme: sie trugen keine Rüstungen! Zwischen Sandalen und Helm befand sich nur ein Lendenschurz! Ich habe nie erfahren, warum sie das taten. Vermutlich wollten sie eventuell anwesende Frauen mit ihren Bauchmuskeln beeindrucken. Nun ja, auf jeden Fall bei dem Kriegszug auch zwei Kobolde dabei. Als persönliches Gefolge des Königs der Spanniaten, Leo-nie-da. Er hieß so, weil er immer weg rannte, sobald der Feind Löwen einsetzte. Meiner Meinung nach eine ziemlich dumme Idee, seine größte Schwäche als Name zu benutzen. Abgesehen von dem Fehlen jedglicher sinnvoller Rüstung natürlich.
Leo-nie-da wollte mit seinen 300 Kriegern und zwei Kobolden auf jeden Fall eine schmale Schlucht bei den Thermos-Spülen verteidigen, um den Großkönig Xurxus aufzuhalten. Man sagte sich, seine Armee bestünde aus über 30000 Persern. Aber keine gewöhnlichen Perser, wie man sie auf vielen hübschen Holzfußböden findet. Nein, das waren geschulte Kampfteppiche! Und sie waren den Spanniaten 100 zu 1 überlegen!
Doch wir kämpften tapfer: 3 Tage und drei Nächte hielt Leo-nie-da mit seinen 302 Kriegern den Engpass. Er hatte sich vorgenommen, bis zum Tode zu kämpfen, weil er keine Lust hatte, den weiten Weg nach Spanna zurückzulaufen. Seine Sandalen hatten unterwegs nämlich schon eine Sohle verlohren, und Barfuss zu wandern ist wahrlich kein Spaß!
Doch die Kobolde hielten sich der übermächtigen Gefahr zum Trotz streng an das Koboldgesetz: kein Kobold darf irgendetwas tun, worauf er keine Lust hat. Und die beiden Kobolde hatten keine Lust zu sterben. Also besorgten sie sich zwei Liegestühle und ein großes Faß mit Rum. Hoch über
der Schlucht legten sie sich dann an den Klippen der Thermo-Spülen in ihre Liegestühle und tranken einen Becher Rum nach dem anderen. Nachdem sie dies vollbracht und dem Koboldgesetz somit die Treue gehalten hatten, erbauten sie hoch über der Schlucht, in der Leo-nie-da gemäß seinem Plan mit seinen 300 Spanniaten gefallen war, eine große Stele, auf die sie die noch heute bekannten Worte einmeißelten:
Wanderer, kommst du nach Spanna, so berichte, du habest uns hier liegen sehen, wie es das Gesetz befahl.
Die daneben eingeritzten Zeichnungen von zwei Gestalten in Liegestühlen mit deutlich erkennbaren spitzen Ohren wurden von Wind und Wetter inzwischen zerstört, aber die Inschrift ist noch heute lesbar!
Ha! Was sagt ihr nun?"
Nun, das war die Geschichte. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Kobolde... Ich muss dringend mit dem Zwergenbier aufhören.
Bis dahin, dein
Kalchas von Punin