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Zitat von »meiner Geschichte«
Der Fleischthekengott
Samstagnachmittag, im Supermarkt an der Fleischtheke
Samstags im Supermarkt einkaufen ist ja an sich schon schlimm. Aber die größte Tortur ist doch, an solchen Tagen dann auch noch an die Fleisch- oder Käsetheke zu müssen. Das ist, als ob man ins Krokodilbecken noch einen Bottich mit Piranhas schüttet. Na gut... Fleisch muss sein, sonst gibt es morgen keine leckeren Rinderrouladen.
Also fädelt man sich wohlgemut am Ende der etwa 28 Kilometer langen Schlange ein. Die erste halbe Stunde kann man getrost verdösen. Lediglich ab und an ein beiläufiges Aufrücken, dann weiter schlafen. Nun allmählich nähert man sich der Theke so weit, dass man die ersten Fleischstücke mit dem Fernglas erkennen kann. Aha: es sind noch genau vier Rinderrouladen da. Genau die, die ich brauche! Spätestens jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, sich allmählich mit der näheren Konkurrenz auf den vor einem liegenden Startplätzen zu befassen. Da ist der gekonnte Profiler gefragt. Man muss ja auf alle Eventualitäten gefasst sein.
Die ältere Dame drei Plätze vor mir erweckt in mir Assoziationen an Afrika. Nicht dass sie dunkelhäutig wäre. Nein, vielmehr muss ich bei diesem vierschrötigen Kaliber an einen Gorilla (Dimesion Silberrücken) denken. Angriffslustig ragen die schlohweißen Stoppeln ihres Nordkorea-Nahkampfschnittes in die Höhe und signalisieren Kampfbereitschaft bis auf's Blut. Zum Glück sind noch zwei Personen dazwischen. Ihr folgt der schwitzende Schweinebacke, ca. 35 Jahre alt, 120 Kilo, schütter behaart, der sich bereits interessiert in den Auslagen nach Seinesgleichen umschaut. Mein Gott! Warum will der Bursche Wurst kaufen? Der sollte lieber verkaufen! Jedenfalls, Gott sei Dank, ist er nicht der Typ für Rouladen. Dann, direkt vor mir befindet sich der Prototyp aller Marathonläuferinnen: ausgezehrte, asketische Gesichtszüge, nur Sehnen und feinzieselierte Muskelstränge. Ötzi sah praller aus, als man ihn fand. Aber genau bei diesem Typus heißt es eingedenk der dringend benötigten Rouladen Obacht zu geben!
Nun ist es so weit - der Silberrücken kauft ein: "Was ist denn das da?" fragt sie mit leicht übersteuerndem Diskant in der Stimme die weit und breit einzige Verkäuferin. Schweinekamm ist es, sieht ja wohl jeder! -"Das ist Schweinekamm." -"Ist der auch schön mager?" Ich habe nie einen magereren Schweinekamm gesehen. -"Ja. Der ist wunderbar mager!" -"Hach, dann wird das nachher alles zu trocken... Haben Sie keinen anderen da?" Die rotgesichtige Bedienung schnappt sich ihr größtes Fleischermesser und verschwindet durch die hinter der Theke liegende Tür. Als sie zurückkommt, wuchtet sie ein Mordstrumm von Schweinekamm auf die Theke. -"Davon hätte ich gerne 375 Gramm." Am besten unzerkleinert direkt in den Hals... -"Ist es so recht?" -"Etwas mehr kann es schon sein." -"Das sind dann... Moment... 480 Gramm!" -"Ist recht." Ups? Schon fertig? Ich hätte ihr durchaus noch die Bestellung einiger Liter Frischblutes und 2 Kilo Carpaccio zum Sofortverzehr zugetraut. Aber nein, das war's. Die Schlange quittiert die Kurzbestellung mit erleichtertem Aufseufzen.
Nächster Kunde... Nein, zu früh gefreut. Silberrücken hat jetzt Blut geleckt und will mehr: "Sind die Bratwürstchen im Angebot?" und sie zeigt auf die sich auftürmenden Bratwürstchen an denen dick und fett ein etwa 2 Quadratmeter großes Schild angebracht ist, auf dem in großen Lettern prangt: "Heute im Angebot!" -"Ja die sind im Angebot. Für 69 Cent." - " Dann hätte ich gerne davon 3 Kilo." (Was ein richtiger Silberrücken ist, braucht mindestens so viel!) In aller Gemütsruhe entwirrt die Verkäuferin den Würstchenstapel, schneidet in geübter Zorro-Manier mit ihrer Machete das Ende ab und jongliert den Wurstberg auf die Waage.
Nun sollte man meinen, man hätte sein Umfeld ausreichend gescannt und abgetastet, aber wie so oft ist diese vermeintliche Sicherheit trügerisch: Am Kopfende der Theke hat sich ein weiterer Kontrahent, weiblich, ca 60 Jahre, (mit männlichem Geleitschutz am seitlich geparkten Kundenwagen) unbemerkt angeschlichen und unterbricht die zähflüssige Verkaufsprozedur virtuos. "Sach ma Margit, haste dann noch was von deene Subbeknoche aussem Angebood?" Mein Gott. Sie kennt die Verkäuferin persönlich! Diese falsche Schlange hat sich nicht hinten angestellt und verlangt doch tasächlich nach einer persönlichen Extrawurst!! Und selbstverständlich schlappt das treuherzige Margitchen los und verschwindet durch die vermaledeite Tür in der Wurstküche. Aber ha: sie kehrt unverrichteter Dinge zurück. "Iss aus", trompetet Margitchen zurück. Doch erneut zu früh gefreut: Margitchen empfiehlt das Ausweichen auf die leckeren Kalbsknochen. "Die sinn zwaar net so billisch, abbä die Subb schmeggt dann aach viel bessä!" Mein Gott! Wie lange soll dieses Wechselbad der Gefühle denn noch andauern? Jetzt komm bloß nicht auf die Idee, ihr gar noch die letzten Rouladen in die gierig aufgesperrte Kühltüte zu stopfen.
Nur um sicher zu gehen schiele ich nach dem hinter der Theke liegenden Hackebeil. Nötigenfalls - mit einem schnellen Sprung... Aber Entwarnung! Die Fregatte dreht nach Erhalt ihrer Ware bei und ihr Geleitschutz segelt in sicherem Abstand hinterher.
Zitat von »dem Rest meiner Geschichte«
Wie sich nun herausstellt, habe ich Schweinebacke offensichtlich richtig taxiert. Das magere Zeugs links liegen lassend kommt er gleich zum fetten Wesentlichen: 2 1/2 Kilo Schweinebauch... Nein, mager braucht es nicht zu sein. "Das schmeckt doch nix. Hö, hö, hö!" Beifall heischend schaut er sich um, nicht ohne die Dörrpflaume hinter sich, die er offenbar erst jetzt bemerkt hat, mit einem kritischen Blick zu mustern. "Und noch ein Kilo Schinkenspeck", bestellt er zurückschwenkend weiter. Und nun auf die Frage:"Darf's denn sonst noch was sein" der Satz, den die Warteschlange am liebsten hört: "Das war's!" Amen. Die Rouladen bleiben unversehrt in der Auslage.
Doch nun ist Dörrpflaume mit dem Bestellen dran - ein Moment, dem ich mit Unbehagen entgegen gesehen habe - zurecht! Dörrpflaume beginnt virtuos mit zwei Landjägern (aber bitte die schönen festen luftgetrockneten! - Passt ja irgendwie!) denen sie dann geschickt 3 Scheiben Burgunderschinken nachwirft. Ob der denn über Buchenholz geräuchert sei möchte sie sogleich wissen. Verzweifelt sucht Margitchen's hilfloser Blick nach dem Metzgermeister, der sich jedoch weiterhin, schlau wie er ist, in der Wurstküche verborgen hält. Fürderhin bestellt die Marathonbraut noch 12 Gramm italienische Mortadella (na gut, es waren 50...) die sie aber zunächst grimmig zurückweist. Wie man denn hier die Mortadella schneide, entrüstet sie sich. Die Scheiben seien ja so dick, dass man mit ihnen glatt einen Nagel durch die Wand klopfen könne. Schwitzend schneidet Margitchen frische, hauchdünne Mortadellascheiben nach. (Vermutlich übersteigt schlussendlich die Schweisseinwaage den Wurstanteil.)
Irritiert entferne ich die Spinnweben unter meinen Achseln, die sich aus unerfindlichen Gründen mittlerweile gebildet haben, während die ausgezehrte Dame (Ist wohl in der Trockenperiode...) munter weiter ihre grammweisen Bestellungen ausdiskutiert. Allmählich beginnt der Zellophanberg (mit erstaunlich wenig Inhalt) neben der Waage bedrohlich zu wanken. Margitchen packt die Sachen schon einmal vorsorglich in eine zeltgroße Einkaufstüte.
"Und zum Schluss hätte ich gerne noch vier Rinderrouladen." Der Schlag trifft mich. Wenn der süffisante Blick, den sie mir dabei zu wirft nicht schlichtweg sadistisch zu nennen ist, weiß ich's nicht. Der Boden unter mir beginnt zu wanken, das Blut rauscht in den Adern, alles beginnt sich zu drehen. Nein! Nur das nicht! Nicht meine Rinderrouladen! Schlaganfall! Hirnschlag! Schleudertrauma! Wie durch dichten Nebel registriere ich beiläufig, dass der Hungerdrachen ihre Errungenschaften einschließlich meiner Rouladen in Ihren fresssüchtigen Einkaufswagen einsackt.
"Was darf's denn sein?", wendet sich Margitchen nun mir zu. Allein - ich bin am Ende. So kurz vor Schluss... "Eigentlich wollte ich auch die Rinderrouladen haben", hauche ich mit letzter Lebenskraft meine Bestellung über die Theke. Resignation macht in mir sich breit.
Nur... Warum lächelt mich Margitchen jetzt so verschmitzt an? "Eeeeeeeerich?", ruft sie nach hinten, "haste die frischen Rouladen ferddich geschnitte?" Metzgermeister Erich scheint auf dieses Kommando nur gewartet zu haben. Wie aus dem Boden gestampft taucht Eeeeerich auf - in seinen prallen Metzgerarmen die wunderbarste, magerste, beste Auswahl an Rinderrouladen, die ich je in meinem langen Frischfleischkäuferleben gesehen habe! Ich muss träumen. Lange starre ich das Wunder wortlos an, bis mich der rigide in meine Kniekehlen gestossene Kundenwagen aus meiner Verzückung reisst. Ich träume ganz offensichtlich nicht. Nun kann ich strahlen. "Vier Stück hätte ich gerne. Die Größten!" Margitchen merkt, dass sie mir damit die größte Samstagsfreude aller Zeiten macht. Nachdem sie abgewogen hat legt sie augenzwinkernd noch eine Roulade dazu. "Darf's noch etwas sein?" "Nein. Das war's." Dann eine Eingebung:"Halt... Geben Sie mir noch 15 Schinkenwürstchen. Von den guten!" Margitchen gibt mir auch die.
Jubelnd drehe ich mich um und öffne freudestrahlend die Würstchentüte. "Absolve te" raune ich dem unwirschen Kundenwagen-in-die-Waden-Schubser zu und drücke ihm zu seiner Verblüffung ein Schinkenwürstchen mit tiefer Dankbarkeit in die Hand. Gleichermaßen verfahre ich mit dem Rest der dahinter Wartenden, bis keine Würstchen mehr übrig sind.
Fragt mich jetzt bitte nicht, wie ich durch die Kasse, ins Auto und nach Hause gekommen bin. Ich weiß es nicht. Ich muss jedenfalls irgendwie geschwebt sein. Ich weiß nur eins sicher:
Es gibt noch einen Fleischthekengott.
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